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Feste feiern, wie sie fallen

Num°14 FESTIVAL I
Waldenfelssiegessäule

Feste fallen auf ein bestimmtes Datum. Im Deutschen gibt es dazu eine Redensart: «Man soll die Feste feiern, wie sie fallen». Das Fallen ist eine Bewegung, die uns mitnimmt, und kein Akt, den wir vollführen, keine Arbeitsleistung, die wir erbringen. Dahinter steht die Einsicht, daß Feste sich nicht fest planen und sich nicht nach Belieben anberaumen lassen wie eine Sondersitzung im Parlament. Wie laut Nietzsche «ein Gedanke kommt, wenn „er“ will, und nicht wenn „ich“ will», so kommen auch Feste, wenn „sie“ wollen, nicht wenn „wir“ wollen. Feste gehören ähnlich wie Gabe, Eros, Spiel und Schmuck zu den Hyperphänomenen, denen etwas Überschwengliches anhaftet, mit dem sie gewöhnliche Phänomene verfremden und über sich selbst hinaustreiben. Platonisch gesprochen handelt es sich um ein „Mehr an Sein“. Um zu feiern genügt nicht die Tatsache, daß unser Erkenntnisbemühen zu einer haltbaren Einsicht geführt oder ein Handlungsergebnis sich als gut und richtig erwiesen hat; denn welchen Grund gäbe es, die Tatsache zu feiern, daß ein pflichtgemäßes Soll erfüllt, ein Planungsziel erreicht oder ein Problem gelöst wurde, wenn wir doch Herr der Lage sind? Würden wir feiern, was in unserer Hand liegt, so würden wir uns selbst feiern, gleich als würde ein Redner sich selbst applaudieren. Hierin mag der Grund liegen, daß weder in der aristotelischen Tugendlehre, noch in Kants Pflichtenlehre, noch in technischen Werkstätten Feiern vorgesehen sind. Ein Mangel an Festfreude ist somit typisch für Gesellschaften, die ihren Zusammenhalt primär in zielgerechten Planungen, im normativen Verhalten, in bürokratischen Maßnahmen oder im ökonomischen Ertrag suchen. Verbleibende Festlichkeiten werden abgedrängt ins „Lampenlicht des Privaten“.

Doch es fragt sich, wieweit eine solch rigorose Ernüchterung überhaupt durchführbar ist. Man denke daran, daß das Erreichen von Zielen von zufälligen Umständen abhängt, die sich nur annähernd einplanen lassen. Deshalb berücksichtigt Aristoteles durchgehend das Glücken oder Mißglücken einer Handlung; als εὐτυχία und ἀτυχία hängt es von der Tyche ab, die durch keine Techne und keine Phronesis voll und ganz auszuschalten ist. Was Kant angeht, so legt er zwar die Glückswürdigkeit in unsere Hände, nicht aber die Glückseligkeit selbst. Schließlich stoßen pragmatische und technische Herstellungsprozesse an Grenzen des Machbaren; es kann zu Katastrophen kommen wie erst kürzlich in dem Kernkraftwerk von Fukushima. Äußere Gefahren und selbstgeschaffene Risiken bringen es mit sich, daß am Rande des normalen Lebens immerzu Außerordentliches auftaucht. Das Außerordentliche, das den normalen Gang der Dinge unterbricht, kann verderbliche Folgen haben, es kann aber auch den Charakter eines Glücksfundes annehmen, der von den Griechen ἕρμαιον genannt und dem Gott Hermes zugeschrieben wurde. Glücksfunde wie der sprichwörtliche Schatz im Acker tauchen immer wieder in alten Stiftungssagen auf, in denen die Ortswahl einer Stadt oder eines Klosters auf überraschende Funde wie das Aufsprudeln einer Quelle oder die Entdeckung einer Furt zurückgeführt wird. So gibt es immer wieder Grund zum Feiern.

Was nun das ausdrückliche Feiern von Festen angeht, so besagt auch dies keineswegs, daß wir das Feld des Normalen und Gewöhnlichen gänzlich hinter uns lassen. Feste unterbrechen den normalen Gang der Dinge; doch sie bilden keine bloßen Freizeiten, keine „Auszeiten“, wie man neuerdings sagt, in denen wir nichts tun als „krank feiern“, so wie für Wittgenstein die Sprache „feiert“, wenn sie ihren Dienst versagt und leerläuft.

Feste feiern, wie sie fallen

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Numero 14 FESTIVAL I agosto, 2015 - Autore:  Condividi

 

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